Die letzten Astern

Humoreske von Teo von Torn.
in: „General-Anzeiger Altona” vom 12.06.1901
in: „Der deutsche Correspondent” vom 11. u. 12.11.1901
in: „Deutsche Wacht” vom 15.12.1901


Herr von Usadel legte nachdenklich seine schwälende Cigarre auf die Tischkante, kraute sich dann, tief aufathmend hinterm Ohr und faltete die Hände.

Das war eine ganz sonderbare Geschichte. Aber da half kein Mundspitzen, es mußte gepfiffen werden. Nachdem er den semmelblonden dicken Freiersmann noch einmal verstohlen von unten bis oben gemustert, huschte sogar etwas wie ein Lächeln über die Züge des alten Herrn. Wenn er nun nicht gleich sprach, würde der junge Mann unfehlbar die Krempe seines funkelnagelneuen Cylinders abbrechen; und das wäre schade um den blanken Bibi. Herr von Usadel räusperte sich also und sagte:

„Mein lieber Herr Gostenow — die Sache kommt mir ein bischen überraschend, und Sie werden mir nicht übelnehmen, wenn ich mich nicht gleich so auf den Dutt entscheide. Sehen Sie mal — das Heiraten ist doch schließlich ein anderer Handel, als wenn Sie mir Futterrüben und ich Ihnen ein Fohlen abkaufe, mit dem Sie mich übrigens das letzte Mal behumpst haben —”

„Herr von Usadel — —”

„Reden Sie nicht, Gostenow, Sie haben mich behumpst; aber das war im Grunde meine eigene Schuld und gehört auch nicht in diesen festlich befrackten Moment. Ich für meinen Theil habe gegen Ihre Werbung nichts einzuwenden. Ihr Mustin ist ein schönes Gut. Sie haben —”

„Achtzig Kühe, dreißig Pferde, fünfzig Schweine —” beeilte sich Joachim Gostenow mit einem stolzen Aufblitzen in seinen blondbewimperten blauen Augen zu ergänzen.

„Ganz recht,” nickte der Major a. D. von Usadel, indem er seinen prächtigen, noch völlig unangegrauten Schnurrbart durch die Finger zog, um ein Lächeln zu verbergen, „und damit wäre ja auch der Grundstein des Glückes für mein Mündel vorhanden. Aber — — — haben Sie schon gefragt?” —

„Nein, meine Mama meinte, ich sollte mich ordnungsgemäß erst mit Ihnen in Verbindung setzen.”

„Hm — natürlich — sehr richtig! Aber — hm — ich habe das eigentlich nicht so gemacht, als ich meine selige Frau heiratete. Man muß doch schließlich erst mal eine Ahnung haben, ob das Mädel einen will. Haben Sie eine Ahnung?”

„Nein; — oder —”, fügte Joachim Gostenow unter heißem Erröthen hinzu, „oder doch! Fräulein Mariechen nennt mich immer „Plums”.”

„Plums — na, sehen Sie, das ist schon was! Aber, lieber Gostenow, der Sicherheit halber würde ich das Mädel doch noch einmal fragen, nicht wahr? Vielleicht kommt ihr das „Plums” gar nicht so vom Herzen. wer kann sich bei den Mädels auskennen. Es wird überhaupt das beste sein, wir legen die Entscheidung in die Hände meines Mündels. Sagt sie ja — dann in Gottes Namen! Also avanti!”

Herr von Usadel erhob sich zu seiner ganzen stattlichen Größe, in der er den Freiersmann um anderthalb Kopf überragte, und bot dem dicken Joachim die Rechte. Dieser ergriff die Hand mit der Geflissenheit eines tödtlich verlegenen Menschen und hielt sich sozusagen an ihr fest, als er fragte:

„Und dürfte vielleicht heute noch —?”

„Aber natürlich, Herr Nachbar, frisch gewagt ist halb gewonnen. Das heißt — ich fürchte, Sie werden sich das Mädel greifen müssen. Seit der Bassewitz von Nieder-Kostew hier in demselben feierlichen Aufzuge anschwirrte, da reißt das Frauenzimmer vor jedem jungen Mann aus wie Schafleder. Na, jedenfalls versuchen Sie Ihr Glück!”

Der Major hatte inzwischen auf einen Knopf gedrückt. Ein Diener trat ein.

„Melden Sie Fräulein von Leesten den Besuch des Herrn Gostenow-Mustin.”

„Zu Befehl, Herr Major, aber das gnädige Fräulein lassen sagen, es sei todtkrank.”

„So — na, dann bestellen Sie nur, daß mein Mündel sich binnen jetzt und fünf Minuten gesund melden möchte. Ich wünschte das! Verstanden?”

„Zu Befehl, Herr Major.”

Der Diener gieng. Joachim Gostenow trat verlegen von einem Bein auf das andere und hauchte:

„Aber, ich bitte — wenn Fräulein Mariechen sich nicht wohl befindet —”

„Papperlapapp — nicht wohl! Dickköpfig ist sie! Gehen Sie nur in das Terassenzimmer, Gostenow. Ich finde mich dann auch ein, und wir werden sehen.”

— — — — — — — — —

Eine Viertelstunde später stand Herr von Usadel immer noch an dem Fenster seines Arbeitszimmers in genau derselben Stellung, die er eingenommen, nachdem der Mustiner gegangen war. Er hatte die hohe Stirn an das Fensterkreuz gelehnt und blickte sinnend in den herbstlichen Garten.

Vor ein paar Wochen der Bassewitz und jetzt wieder einer! Ja, war denn das Mädel überhaupt schon so weit? Im Juli war sie neunzehn geworden. Neunzehn Jahre. Wie die Zeit fliegt! Dann waren es also auch schon fünf Jahre her, daß ihm der Unband das Haus auf den Kopf stellte — das heißt in gutem Sinne. Sie hatte Ordnung und stramme Zucht gebracht in die Wirtschaft, die seit dem Tode der Hausfrau eingerissen war. Man sah der feinknochigen Deern gar nicht an, was für colossale Energie in ihr steckte. Und der Humor! Herrgott — das Mädel war ja Sonnenschein und Wärme im Hause!

Herr von Usadel rieb die schmerzenden Knöchel, auf die er sich am Fensterbrett gestützt hatte, dann zog er — es war eine eigenthümliche Bewegung — den Schnurrbart durch die Finger und trat vor den Spiegel. Hier sah er sein Bild wohl ein, zwei Minuten mit einem gewissen neugierigen Spott starr an. Das Resultat dieser fast unbewußten Prüfung war ein ärgerliches Achselzucken.

„Alter Esel,” brummte er vor sich hin und trat wieder ans Fenster.

Unter den abgeernteten Obstbäumen hatte sich das fallende Laub schon zu einer dichten gelbrothen Decke angesammelt. Der geschorene Rasen, die einst so herrlich blühenden Rabatten trugen das fahle Herbstkleid, fest angeklatscht von dem Sprühregen, der seit Tagen wie ein prickelnder grauer Nebel über der trostlos öden Landschaft lag. Und das war nur ein Vorspiel. Ein paar Wochen später, dann pochte die Rüster, welche jetzt noch mit ein paar Blättern gegen die Scheibe strich, mit dürren Zweigen an das Fenster. Dann war alles todt — auch die letzten Astern drüben, neben der Laube, und dann war — — — —

Herr von Usadel zog den Schnurrbart durch die Finger, aber hielt sozusagen auf halbem Wege inne. Mit einer raschen Bewegung trat er noch näher an das Fenster und spähte mit langem Halse auf den Weg, welcher von der Terrasse zur vorderen Auffahrt führt.

Marie und ihr Freiersmann waren herausgetreten. Erstere spannte einen Regenschirm auf und hielt ihn vorsorglich über den dicken Mustiner, welcher recht beklommen neben ihr hergieng.

„Nee, Plums,” hörte der Major sein Mündel sagen, „wie kann man bei solchem Wetter nur so 'nen feinen Quadrillenschwenker anziehen?”

„Aber, Fräulein Marie,” wandte Joachim Gostenow mit einer halb ungeduldigen, halb verlegenen Geberde ein, indem er stehen blieb: „ich will Ihnen erklären — wenn Sie mich nur zu Worte kommen lassen wollten!”

„Lassen Sie nur, Plumschen. Ich weiß schon. Sie sind ein so unvernünftiger Mensch, daß Sie imstande wären, mich heiraten zu wollen, und das wäre eine zu harte Strafe für den spatigen Gaul, mit dem Sie den Onkel angeschmiert haben. Aber zeigen muß ich Ihnen das Unglücksvieh, auf daß Sie ob Ihrer Schandthat erröthen. Also dalli —!”

Damit zerrte sie den Widerstrebenden in der Richtung nach den Ställen mit sich fort.

„Du — Onkel!”

„Ach, laß mich in Frieden! Du erzürnst mir die ganze Nachbarschaft mit deinem Benehmen. Den Bassewitz hast du direct auf die Rüben gejagt und den Mustiner schleifst du gar durch die Ställe! Ich weiß nicht, was du willst — schließlich wirds doch auch für dich Zeit — —”

„Wozu?”

„Na, zum Heiraten!”

„Wieso?”

„Wieso!” brauste der Major auf, indem er heftig die Asche seiner Cigarre abschnellte. „Da gibt es kein Wieso! Du bist bald zwanzig und wirst dich doch auf Perschow nicht sauer einlegen wollen!”

„Du — Onkel?”

„Na?!”

„Der Mustiner nimmt den Gaul zurück.”

Herr von Usadel zuckte die Achseln und setzte sich ärgerlich an seinen Schreibtisch, wo er Federhalter, Papierscheere und noch verschiedenes ziemlich geräuschvoll durcheinander warf.

Marie von Leesten hob den Kopf mit den schweren braunen Flechten und folgte dem zornigen Spiele mit einer Mischung von Befremden und Heiterkeit. Dann senkte sie den Kopf wieder und bemerkte trocken:

„Na, also schön! — Ich werde heiraten.”

Der Major fuhr herum.

„So! Hm — und wen, wenn ich fragen darf?” rief er unmotivirt laut, nachdem er ein paarmal heftig geschluckt, wie jemand, dem ein Schreck die Stimme verschlagen.

„Das kommt darauf an.”

„Worauf?”

„Ob er mich will.”

„Quatsch! Alle wollen sie dich! Weiß er denn schon was?”

„Ich glaube nicht!”

„Nun, dann rede doch mit ihm, wenn der Schafskopf so nicht merkt, daß du ihm gut bist!”

„Du — Schafskopf sage nicht, das verletzt mich in meinen Empfindungen. Meinst du, daß das geht, wenn ich mit ihm rede?”

„Natürlich gehts! Weshalb sollts nicht gehen!” brauste Herr von Usadel mit einer zornigen Bitterkeit auf, die er vergeblich niederzuringen versuchte: „schmeiß dich doch irgendwem an den Hals! — Du macht dir nichts daraus, ob dein alter Onkel hier in dem alten Eulenneste einsam zugrunde geht!”

Der Major tobte sich weiter in seinen unlogischen Zorn hinein, und zwar so, daß er zuerst sein Alleinsein gar nicht merkte. Erst als er müde war, sah er sich verstört um. Sie war fort. Er hatte sie mit seinem verrückten Poltern davongejagt.

„Jawohl — verrückt!” flüsterte er vor sich hin, indem er die Stirn in die Hände stützte. „Wenn ich nur wüßte, wie viel das Mädel von dem Blödsinn gehört hat!”

Dann seufzte er tief und zitternd auf und wandte den schwimmenden Blick zum Fenster. Da würde nun bald der Winter zu ihm hineinschauen. Und was für einer! Allein — ohne das Blitzmädel, dieses einzige liebe — ! Wenn die letzten Astern da drüben an der Laube —”

„Ja, zum Donnerwetter, wo sind denn die Astern!!” rief der Major, indem er aufsprang und das Fenster öffnete, um besser sehen zu können. Ein wirklicher Schreck faßte ihn ans Herz — um die fünf, sechs einfachen Blumen, die den letzten spärlichen Rest seines Sommers verkörperten. Eine plötzliche scharfe Zugluft ließ ihn das Fenster schließen. Er sah sich um. Der alte Grotkopf, welcher den Major noch auf seinen Knien getragen und seit Jahrzehnten schon wie zur Familie gehörig betrachtet wurde, steckte seinen weißen Kopf ins Zimmer und schob sich dann sachte nach. In den zitternden Händen hielt er die letzten Astern — und seine sonst schon etwas blöden Augen waren so hell und freudig, als wenn er um vierzig Jahre jünger geworden wäre.

„Herr — Herr Major — das gnädige Fräulein schicken die Blumen und lassen fragen, ob Sie nicht so gut sein wollen — sie zu heiraten.”

„ Mensch — Grotkopf! — Bist du verrückt oder ich!!”

„Das gnädige Fräulein meinten, daß der Herr Major wahrscheinlich so was Aehnliches sagen würden,” erwiderte der Alte, „aber da der Herr Major immer nichts merkten, bliebe ja dem gnädigen Fräulein gar nichts anderes übrig —”

„Ist das wahr!” jauchzte der Major.

„Gewiß, ist das wahr!” rief von der Thür her eine helle Mädchenstimme zwischen Lachen und Weinen.

Der alte Grotkopf legte die Blumen leise auf den Schreibtisch nieder und gieng.

Und in der schweigenden Dämmerung, durch die es wie ein Gotteshauch von Glück zog, leuchteten die Astern wie köstliche Lenzrosen.

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